Wegweisendes Urteil: VdK erreicht Merkzeichen für 14-jährigen Jungen
Die Bundesrechtsabteilung des Sozialverbands VdK hat für einen 14-jährigen Jungen das Merkzeichen „außergewöhnliche Gehbehinderung“ (aG) erstritten. Das Landesversorgungsamt in Baden-Württemberg war bis vor das Bundessozialgericht (BSGkurz fürBundessozialgericht) gezogen, um den Anspruch des schwerbehinderten Jungen abzuwehren (Aktenzeichen B 9 SB 8/21 R).
Die Erleichterung bei dem 14-Jährigen und seiner Mutter war riesengroß, als am 9. März 2023 der 9. Senat des BSGkurz fürBundessozialgericht das Urteil in dem Revisionsverfahren sprach und den Anspruch auf das Merkzeichen „aG“ anerkannte. Dieses ermöglicht dem Jungen mit einer Schwerbehinderung und seiner Mutter unter anderem die Nutzung von Behindertenparkplätzen.
Auf Hilfe angewiesen
Wegen eines angeborenen Gendefekts mit einer Entwicklungsstörung kann der Jugendliche sich ausschließlich in vertrauter Umgebung wie zu Hause oder in der Schule frei bewegen. In unbekannter Umgebung braucht er wegen seiner psychomotorischen Störung Unterstützung in Form eines Rollstuhls oder Reha-Buggys, oder eine Vertrauensperson, auf deren Unterarm er sich stützen kann.
Bereits in den Jahren 2014 und 2017 hatte das Landesversorgungsamt einen Antrag auf das Merkzeichen abgelehnt, weil die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich angeblich nicht vorgelegen hätten. Der Widerspruch blieb erfolglos, sodass die Bundesrechtsabteilung des VdK schließlich für das minderjährige Mitglied vor das Sozialgericht Ulm zog. Das Ziel war, in einem Musterstreitverfahren grundsätzlich klären zu lassen, ob für die Anerkennung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung eine Gehunfähigkeit in allen Lebenslagen gegeben sein muss.
Bei ihm lag wegen seiner Erkrankung ein Grad der Behinderung (GdBkurz fürGrad der Behinderung) von 80 vor. Aufgrund der geistigen Behinderung ist er in fremder Umgebung so stark verunsichert, dass er eine Gehstrecke von einigen Metern nicht eigenständig zurücklegen kann. Das geht aus dem medizinischen Gutachten hervor, welches das Gericht während des Verfahrens beizog. Die außergewöhnliche Gehbehinderung beruhe demnach nicht auf orthopädischen Einschränkungen, sondern auf der mentalen Störung.
Die Behörde schloss sich dem Gutachten nicht an, weil der Kläger sich im Schulgebäude ohne Unterstützung fortbewegen kann. Er sei somit nicht dauerhaft auf fremde Unterstützung oder den Rollstuhl angewiesen.
Das Sozialgericht folgte jedoch im Wesentlichen der Argumentation des Klägers und verpflichtete das Landessozialamt, den Nachteilsausgleich „aG“ festzustellen.
Das Amt legte daraufhin Revision ein, und das Landessozialgericht musste sich mit dem Fall befassen. Sein Urteil deckte sich im Ergebnis mit dem des Sozialgerichts Ulm.
Gericht gibt VdK Recht
Die erneute Revision des Klägers führte schließlich vor das Bundessozialgericht. Die Richter stellten fest, dass für eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft dazugehört, dass Menschen auch ihnen unbekannte Umgebungen und Einrichtungen aufsuchen können. Die Gehfähigkeit ausschließlich in einer vertrauten Umgebung steht der Zuerkennung des Merkzeichens aG nicht entgegen.
VdK-Jurist Holger Lange von der Bundesrechtsabteilung, der den Fall betreute, kritisierte die Blockadehaltung der Beklagten. „Es ist nicht nachvollziehbar, das Verfahren, in dem es um den Anspruch eines Minderjährigen mit einer Schwerbehinderung geht, über Jahre und zwei Instanzen bis zum Bundessozialgericht zu ziehen.“
Mit dem Erfolg vor dem Bundessozialgericht ist nun höchstrichterlich geklärt, dass für die Zuerkennung des Merkzeichens der außergewöhnlichen Gehbehinderung die betreffende Person nicht in allen Lebenslagen gehunfähig sein muss. Dieses wegweisende Urteil ist ein Erfolg des VdK.