„Arbeit bedeutet gesellschaftliche Teilhabe“
Etwa 10.000 Menschen in Deutschland sind taubblind oder haben eine Hörsehbehinderung, schätzt das Deutsche Taubblindenwerk. Wie viele Menschen mit Taubblindheit es in Deutschland tatsächlich gibt, weiß niemand. Schätzungen sind deshalb so schwierig, weil viele Menschen mit Taubblindheit sehr zurückgezogen leben. Sonja Hafner arbeitet bei der Nikolauspflege Stuttgart im bundesweiten Projekt „Wege in den Beruf für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung“. Sie erzählt im Interview, warum viele Menschen mit Taubblindheit früh verrentet werden, weshalb das häufig zu sozialer Isolation und Einsamkeit führt und wie der Arbeitsmarkt inklusiver werden kann.

Im Interview: Sonja Hafner vom Projekt „Wege in den Beruf für Menschen mit Taubblindheit“
Sonja Hafner arbeitet im Projektteam: „Wege in den Beruf für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung“ der Nikolauspflege Stuttgart.
Interview
„Wege in den Beruf“ – warum brauchen wir dieses Projekt?
Bis jetzt gibt es deutschlandweit kein einziges berufliches Bildungsangebot speziell für die Gruppe der Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung. Das bundesweite Projekt „Wege in den Beruf“ wird gefördert von der Aktion Mensch Stiftung. Einer der drei Träger ist die Nikolauspflege hier in Stuttgart. Ziel ist es, den Menschen eine Perspektive für eine berufliche Ausbildung zu schaffen: durch Beratung, Unterstützung und Begleitung vor Ort.
Warum gibt es bis jetzt keine speziellen Angebote?
Die Taubblindheit und Hörsehbehinderung ist in Deutschland erst seit 2016 als eigene Art der Behinderung anerkannt.
Seitdem entwickeln sich stetig Angebote, auch im beruflichen Bereich. Das ist eine wunderbare Entwicklung – denn früher wurden viele Menschen mit Taubblindheit frühverrentet, weil die berufliche Teilhabe an fehlendem Wissen scheiterte. Das führte zu sozialer Isolation und häufig auch zu Einsamkeit.
Und sicherlich sind viele Menschen dann auch unterfordert?
Ja, na klar. Ich selbst zum Beispiel habe eine hochgradige Sehbehinderung und meine Ausbildung zur Bürokauffrau bei der Nikolauspflege in Stuttgart gemacht. Manches war vielleicht ein bisschen anstrengender für mich, aber mit den richtigen Hilfsmitteln, beispielsweise Vergrößerungssoftware und Sprachausgabe, arbeite ich absolut gleichwertig.
Und mir bedeutet mein Beruf sehr viel. Ich kann etwas bewegen, komme mit dem Team weiter. Das ist ein gutes Gefühl. Und so geht es doch fast allen Menschen: Die allermeisten Menschen wollen arbeiten. Arbeit gibt uns Wertschätzung, bringt die sozialen Kontakte und bedeutet gesellschaftliche Teilhabe.
Was bietet das Projekt ganz konkret an? Wie gelingt Inklusion in der Arbeitswelt?
Wir wollen den Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung eine Ausbildung für den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Wir haben ja vier Projektstandorte: das Deutsche Taubblindenwerk Hannover, die SFZ Förderzentrum gGmbH in Berlin und Chemnitz und eben hier die Nikolauspflege in Stuttgart. Unser Ziel hier in Stuttgart ist es, ab Sommer 2025 eine Ausbildung im IT-Bereich und eine in der Hauswirtschaft anzubieten. Dazu wird es Assessment-Angebote und verschiedene Berufsbildungsmaßnahmen geben.
Außerdem beraten wir zu den benötigten Hilfsmitteln, schauen, ob eine Taubblindenassistenz gebraucht wird, kennen die verschiedenen Fördermöglichkeiten.
Wenn ich jetzt als Mensch mit Taubblindheit von Ihrem Angebot erfahre, wie kann ich mich an Sie wenden?
Telefonisch, per E-Mail, persönlich. Auch ganz unverbindlich, erstmal nur zum Kennenlernen. Aber ganz egal wie, melden Sie sich! Auch wenn Sie von einem Menschen wissen, für den unser Angebot interessant sein könnte. Geben Sie unsere Kontaktdaten weiter.
Wir freuen uns über jeden Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung, der den Weg zu uns findet, dem wir berufliche Perspektiven aufzeigen dürfen und so den Einstieg ins Berufsleben ermöglichen können.
Das Gespräch führte
Julia Nemetschek-Renz
Kontakt
Sonja Hafner
Telefon: (0172) 69 19 137
E-Mail: Externer Link:sonja.hafner@nikolauspflege.de