Kategorie Rente Gesundheitssystem

„Rechte der gesetzlich Versicherten endlich stärken!“

Die Eingriffe des Staates in die Töpfe der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung sind massiver geworden, sagt Peter Weiß, Bundesbeauftragter für die Sozialwahlen in Deutschland. Er fordert mehr Rechte für die Vertreterinnen und Vertreter der gesetzlich Versicherten. Dann hätten Sie beispielsweise ein Klage-Recht und könnten über die Eingriffe des Bundes in die Töpfe der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung mitbestimmen.

Schon gewusst?

Die Mütterrente und die Gesundheitsversorgung der Bürgergeldempfänger sind solche klassischen versicherungsfremden Leistungen. Diese Leistungen gehören nämlich zur Daseinsvorsoge. Das heißt: 

Sie sind Aufgabe des Sozialstaats und müssten eigentlich von allen Bürgerinnen und Bürgern getragen und solidarisch aus Steuermitteln finanziert werden.

Sie sind der Bundesbeauftragte für die Sozialwahlen in Deutschland. Wen wählen wir denn bei den Sozialwahlen?

Alle sechs Jahre wählen die gesetzlich Versicherten ihre Vertreterinnen und Vertreter in die Gremien der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung. Das ist die sogenannte Soziale Selbstverwaltung. Leider war die Wahlbeteiligung bei den letzten Sozialwahlen historisch niedrig: Sie lag nur bei 22,4 Prozent.

Was ist das Prinzip dieser Sozialen Selbstverwaltung? Und der Sozialwahlen?

Alle gesetzlich versicherten Bürgerinnen und Bürger zahlen ihre Beiträge in die Sozialversicherung. Die 3.860 gewählten Vertreterinnen und Vertreter sollen in den Sozialversicherungs-Parlamenten darüber wachen, dass an der Spitze der Versicherung ein qualifiziertes Management steht und sorgfältig mit den Versichertengeldern umgegangen wird.

Sie wollen die Sozialwahlen reformieren und fordern die Aufnahme der Selbstverwaltung ins Grundgesetz. Was würde das ändern?

Die niedrige Wahlbeteiligung zeigt, dass viele Menschen mit der Sozialen Selbstverwaltung und ihren Aufgaben nichts anfangen können. Unsere Nachwahlbefragung hat gezeigt: Sehr viele Menschen wissen nicht, was die Soziale Selbstverwaltung ist und welche Aufgaben sie hat. Und das ist problematisch. Denn die Soziale Selbstverwaltung ist ein Stück gelebte Demokratie. Wir diskutieren so viel über mehr Bürgerbeteiligung, aber dieses wichtige Bürgerrecht nehmen die wenigsten wahr.

Woran liegt das?

Naja, zum einen daran, dass viele zu wenig informiert sind und dann mit Sicherheit auch daran, dass die Vertreterinnen und Vertreter in den Gremien eher bescheidene Rechte haben. Sie müssen zum Beispiel den Haushalt beschließen. 

Dabei ist die Soziale Selbstverwaltung in großer Sorge: Denn der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung
werden immer weitere Aufgaben übertragen, die eigentlich aus Steuergeldern gezahlt werden müssten, wie beispielsweise die Mütterrente oder die Gesundheitsversorgung der Bürgergeldempfänger. Hier müssten Selbstverwalter das Recht haben, sich wehren zu können. 

Warum sollte der Bund alle diese sogenannten versicherungsfremden Leistungen zurückerstatten?

Weil wir klar unterscheiden sollten: Was sind Leistungen der Sozialversicherungen, die aus Beiträgen zu finanzieren sind und was sind allgemeine Sozialleistungen, die aus Steuermitteln finanziert werden müssen. Würden alle diese nicht beitragsgedeckten Leistungen ordnungsgemäß der Sozialversicherung zurückerstattet, könnten die Beiträge für die Versicherten in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung jeweils um circa zwei Prozentpunkte sinken.

Was fordern Sie jetzt konkret? 

In meinem Abschlussbericht zu den letzten Sozialwahlen fordere ich die Aufnahme der Sozialen Selbstverwaltung in unser Grundgesetz. Dann hätte sie Verfassungsrang und man könnte politisch nicht so einfach über ihre Kompetenzen hinweggehen und beispielsweise beschließen, dass die Mütterrente aus Beiträgen der gesetzlich Versicherten finanziert wird. 

ußerdem hätte die Aufnahme ins Grundgesetz ein Klagerecht zur Folge. Das heißt: Die Soziale Selbstverwaltung könnte gegen solche Entscheidungen klagen. Ich bin mir sicher: Manch eine politische Entscheidung würde dann anders laufen.

Eigentlich erscheint das doch ganz selbstverständlich, dass die gesetzlich Versicherten selbst über ihre Vertreterinnen und Vertreter in den Gremien mitbestimmen, wofür ihre Gelder verwendet werden? 

Ja klar, eigentlich schon. Wir haben nur in Deutschland eine andere gelebte politische Praxis. Wenn man das Prinzip der Sozialen Selbstverwaltung retten will, muss man es stärken. Sonst verstehen die Bürgerinnen und Bürger auch nicht mehr, welche Bedeutung die Sozialwahlen haben sollten.

Und was sind jetzt Ihre nächsten Schritte?

Ende des Jahres werde ich dem zuständigen Arbeitsministerium und den Bundestags-Abgeordneten einen Maßnahmenkatalog vorlegen, wie die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zur Stärkung der Sozialen Selbstverwaltung und zur Modernisierung der Sozialwahlen umgesetzt werden können. Dabei werde ich auch den Vorschlag machen, die Soziale Selbstverwaltung im Grundgesetz zu verankern. Die Gesetzgebung müsste in den Jahren 2026 und 2027 erfolgen, damit das rechtzeitig für die nächsten Sozialwahlen 2029 rechtsgültig ist.

Das Thema muss endlich auf die politische Tagesordnung. Die Rechte der gesetzlich Versicherten müssen dringend gestärkt werden.

Das Gespräch führte Julia Nemetschek-Renz

Zur Person

Peter Weiß ist seit 2021 Bundesbeauftragter für die Sozialwahlen in Deutschland, war von 1998 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestags und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDUkurz fürChristlich Demokratische Union/CSUkurz fürChristlich-Soziale Union-Bundestagsfraktion.

Seit 2005 war er außerdem rentenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und und hat sich maßgeblich für eine Verbesserung der Mütterrente eingesetzt.

Er ist VdK-Mitglied und Mitglied des Sozialpolitischen Ausschusses des Sozialverbands VdK Baden-Württemberg e.V.