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„Dann würde es keine Diabetologie mehr geben“

Mit der Krankenhausreform wird es ein teils neues Vergütungssystem geben: Die Leistungsgruppe Diabetologie soll beispielsweise 2027 ganz gestrichen werden. Das heißt, die Diabetologen können ihre Leistungen dann nicht mehr abrechnen. Was das für die Disziplin Diabetes bedeutet, welche Änderungen auf unser Gesundheitssystem zukommen werden und warum die Prävention dabei immer vergessen wird, erzählt Prof. Dr. Ralf Lobmann im Interview.

Ärztin lachend im Gespräch mit einer Patientin, diese hört gespannt zu, die Ärztin hält ein Smartphone in der Hand.
Die sprechende Medizin sei schon immer schlecht vergütet, sagt Prof. Dr. Lobmann. Dabei sei beispielsweise eine ausführliche Ernährungsberatung in der Behandlung von Diabetes essenziell. © iStock.com /SDI-Productions

Herr Prof. Dr. Lobmann, welche Rolle spielt die Krankheit Diabetes im Klinikalltag?

Eine sehr bedeutende. Da muss man sich nur ein paar Zahlen anschauen. Bei uns im Klinikum Stuttgart haben 30 Prozent aller Patienten die Nebendiagnose Diabetes. Das heißt, sie kommen in die Klinik wegen einer Hüft-OPkurz fürOperation oder einem Herzinfarkt und bringen den Diabetes mit. Und viele von ihnen, ein gutes Viertel, wissen noch nicht, dass sie Diabetes haben. Die Erkrankung wird erst in der Klinik festgestellt. Und wir  Menschen werden immer älter, das Diabetes-Risiko nimmt zu.

Das heißt salopp gesagt: Alle wissen, dass die Diabetologie im Klinik-Alltag wichtig ist?

Genau das Gegenteil ist der Fall. Viele Kliniken haben gar keine eigene diabetologische Abteilung mehr. Wir sind hier im Klinikum Stuttgart gut aufgestellt. In meiner Abteilung arbeitet ein Team aus 17 Ärzten, wir behandeln circa 3000 Patienten im Jahr. Doch ich befürchte, dass die Diabetologie in Zukunft, nach der Krankenhausreform, in den meisten Kliniken keine nennenswerte Rolle mehr spielen wird.

Warum das?

Weil es keine eigene Leistungsgruppe Diabetologie mehr geben soll, das plante Gesundheitsminister Lauterbach. Wir versuchen über die Deutsche Diabetes Gesellschaft eine Änderung zu erreichen, aber es ist fraglich, ob uns das gelingt.

Argument ist: Den Diabetes können die Hausärzte in der ambulanten Versorgung behandeln, in der stationären die Inneren Abteilungen. Doch so einfach ist es nicht. Der Denkfehler liegt darin: Diabetes-Behandlung ist komplex und braucht Zeit. Wir Diabetologen sollten im besten Fall schon dann tätig werden, wenn noch nicht so viel passiert ist.

Elf Millionen Menschen in Deutschland haben einen diagnostizierten Diabetes, weitere zwei Millionen wissen nichts von ihrer Erkrankung. Im Schnitt vergehen sechs bis acht Jahre, bis ein Diabetes erkannt wird! Und das ist deshalb fatal, weil wir durch eine gute Blutzuckereinstellung Folgeerkrankungen vermeiden können: beispielsweise den Schlaganfall oder den Herzinfarkt.

Wenn jedoch die Diabetologie immer weiter abgebaut wird, dann kommen die Patienten mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus und im Zuge dessen wird der Diabetes entdeckt. Dann ist es aber schon zu spät. Doch eine gute Diabetes-Prävention kostet. Denn sie ist sprechende Medizin und sehr personalintensiv: Ernährungsberatung, erklären, warum Bewegung hilft, wie die Vorsorge aussehen kann. Das alles ist zeitaufwendig. Deshalb ist die sprechende Medizin schon immer schlecht vergütet.

Und jetzt sollen das die Hausärzte und die Innere nebenbei machen? Das wird nicht klappen. Ich befürchte, dass die Prävention von Diabetes eine noch kleinere Rolle spielen wird. Dabei könnten wir Diabetologen das Gesundheitssystem mit unserer Arbeit durch Vorsorge enorm entlasten!

Das heißt, wenn die Leistungsgruppe Diabetologie wie geplant gestrichen wird, können Sie Ihre Abteilung schließen?

Glücklicherweise muss ich das nicht. Wir sind eine Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie. Und die Endokrinologie hat weiterhin eine eigene Leistungsgruppe. Doch diese Kombination gibt es in Deutschland nicht so häufig. An vielen Kliniken könnte die Diabetologie geschlossen werden. Und das, obwohl Diabetes eine Volkskrankheit ist! 

Elf Millionen Menschen leiden an Diabetes! Argument von Minister Lauterbach ist immer: Diabetes ist ambulant. Aber die Notfälle doch nicht! Wir brauchen ein stationäres Backup in den Kliniken und eine gute Prävention. Nicht zuletzt findet in den Kliniken auch die Ausbildung der nächsten Generation ambulant tätiger Diabetologen statt.

Das Gespräch führte Julia Nemetschek-Renz

Zur Person

Prof. Dr. med. Ralf Lobmann ist ärztlicher Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie am Zentrum für Innere Medizin des Klinikums Stuttgart.

Prof. Lobmann ist außerdem Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetologie Baden-Württemberg (ADBW) und Sprecher der Regionalgesellschaften der Deutschen Diabetes Gesellschaft e.V. (DDGkurz fürDigitale-Dienste-Gesetz).