Kategorie Sozialpolitik Sozialrecht Soziale Gerechtigkeit

„Soziales muss Priorität haben!“

Die neue Bundesregierung aus CDUkurz fürChristlich Demokratische Union/CSUkurz fürChristlich-Soziale Union und SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands hat ihre Arbeit aufgenommen, der Koalitionsvertrag steht. Doch was steht drin? Haben die Koalitionäre bei Rente, Pflege und Gesundheit ihre sozialpolitischen Versprechen wahrgemacht? In einigen Punkten schon, in vielen nicht, sagt Hans-Josef Hotz im Interview. Lesen Sie hier, wie der Landesvorsitzende den aktuellen Koalitionsvertrag bewertet und welche Forderungen er an die nächste Bundesregierung hat.

Hotz sitzt an einem Tisch im Konferenzraum und ist im Gespräch mit der VdK-Zeitung.
„Verbindliche Zusagen zur finanziellen Entlastung der Pflegenden fehlen im Koalitionsvertrag komplett, das ist enttäuschend“, sagt Hans-Josef Hotz im Interview. © VdK LV / Julia Nemetschek-Renz

Wie bewerten Sie das Zustandekommen der neuen Regierung?

Durchaus positiv. Es ist ermutigend, wie dynamisch und mit welcher Kompromissbereitschaft sich die Abgeordneten aus CDUkurz fürChristlich Demokratische Union/CSUkurz fürChristlich-Soziale Union und SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands inhaltlich geeinigt haben, den Koalitionsvertrag verabschiedet, die Minister ernannt und den Kanzler, wenn auch erst im zweiten Anlauf, gewählt haben. Unsere parlamentarische Demokratie funktioniert einwandfrei. Das ist beruhigend und stimmt mich sehr zuversichtlich. Bedauerlich nur, dass es viele sinnvolle und wichtige Vorschläge der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales nicht in den Koalitionsvertrag geschafft haben.

Welche Inhalte des Koalitionsvertrags bewerten Sie positiv?

Ganz eindeutig positiv ist natürlich die festgeschriebene Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent. Das haben wir als Sozialverband VdK ja immer wieder gefordert. Die Haltelinie bei 48 Prozent bis 2031 ist ein Teilerfolg. 

Und zweitens begrüßen wir natürlich die geplante Erweiterung der Mütterrente sehr. Mütter sollen ab jetzt drei Rentenpunkte für jedes Kind bekommen, unabhängig vom Geburtsjahr des Kindes. Besonders freut es mich, dass diese Anpassung der Mütterrente, ordnungspolitisch vollkommen richtig, aus Steuermitteln finanziert werden soll.

Und drittens ist es sehr positiv, dass die geplante Finanzierung der Krankenhausreform gesamtgesellschaftlich aus dem Sondervermögen getragen werden wird. Der Bund wollte dafür ja zunächst 25 Milliarden aus der gesetzlichen Krankenversicherung entnehmen.

Und welche Inhalte fehlen Ihnen im Koalitionsvertrag?

Leider wurden viele der Vorschläge der Arbeitsgruppe nicht übernommen. Beispielsweise die Zurückzahlung der Mittel für die Corona-Pandemie von etwa sechs Milliarden an die gesetzliche Pflegeversicherung. Bei den Ideen zur Finanzierung der Sozialversicherungen – Rente, Pflege und Gesundheit, bleibt es leider komplett bei den alten Mustern. 

Es werden höhere Beiträge gefordert, Einschränkungen von Leistungen vorgeschlagen und bei der Rentenversicherung
auch längere Arbeitszeiten. Dabei steht die Pflegeversicherung vor dem finanziellen Kollaps. Es ist tatsächlich sehr enttäuschend: Die Unterstützung der pflegenden Angehörigen fehlt im Koalitionsvertrag völlig!

Häusliche Pfege fehlt völlig. Was heißt das?

Verbindliche Zusagen zur finanziellen Entlastung der Pflegenden, zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und zur Ausweitung von Entlastungsangeboten fehlen im Koalitionsvertrag. 

Das gesamte Thema Barrierefreiheit ist komplett ohne Ambitionen formuliert und auch konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut sucht man im Koalitionsvertrag vergeblich. Dabei ist die Kinderarmut in Deutschland eines der drängendsten sozialpolitischen Probleme.

Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung?

Es steht außer Frage, dass die außenpolitischen und auch die wirtschaftspolitischen Herausforderungen für die neue Bundesregierung enorm sind. Und dennoch darf eine gerechte Sozialpolitik niemals zu kurz kommen. Denn nur ein starker Sozialstaat schützt vor Armut, pflegt gut und sorgt für Gesundheit und Teilhabe.

Die Sorge um die Verbesserung der persönlichen sozialen Situation steht für die Wähler ganz oben, das zeigen alle Umfragen. Und nur wenn es gerecht zugeht in unserem Land, schaffen wir es, den braunen Sumpf trockenzulegen!

Dazu haben wir eine ganz klare Haltung: Wir werden den AfD-Abgeordneten konsequent im Sozialverband VdK keine Bühne bieten. Das, was die AfD erreichen will, hat mit den Zielen und Werten des VdK nichts gemein. Die AfD stimmte beispielsweise gegen die Angleichung der Mütterrente. Sie plädiert dafür, die Steuerlast der Reichen zu senken und das Renteneintrittsalter zu erhöhen.

Mit diesen sozialpolitischen Fakten werden wir uns gegen die Ansichten der jetzt als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei wenden. Das ist der richtige Weg, da bin ich mir sicher. Der neuen Bundesregierung wünsche ich Mut, Kraft und gutes Gelingen.

Das Gespräch führte Julia Nemetschek-Renz

Kommentar: Geplante Kommission ist eine Bankrotterklärung

Portraitaufnahme von Roland Sing am Smartphone

Nachdem sich am 6. Mai 2025 die neue Bundesregierung gebildet hat, ist davon auszugehen, dass der vorliegende Koalitionsvertrag zwischen CDUkurz fürChristlich Demokratische Union und SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands die Grundlage für die künftige Gesundheits- und Pflegepolitik sein wird. Aus Sicht des VdK, aber insbesondere aus Sicht der Patienten und der Beitragszahler, kann die Verschiebung einer Reform des Gesundheitswesens nicht länger hingenommen werden. Die vorhandenen Daten und Fakten erlauben sowohl im Gesundheitswesen wie im Bereich der Pflege ein sofortiges Handeln – die erneute Bildung einer Kommission und das Abwarten auf deren Vorschläge in zwei Jahren wird, wie die vorangegangene Legislaturperiode zeigte, zu keinem Ergebnis führen. Sie ist eine Bankrotterklärung für den Gestaltungswillen der geplanten Regierung. 

Notwendig ist die sofortige Verbesserung der Finanzsituation verbunden mit Sofortmaßnahmen im Bereich der ambulanten, stationären und pflegerischen Versorgung. Zur Behebung der Versorgungsdefizite und der dramatisch schwierigen Finanzsituation im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung ist zwingend ein Vorschaltgesetz erforderlich. 

Für den Bereich Gesundheit ist zu fordern, dass als Sofortmaßnahme die sogenannten versicherungsfremden Leistungen aus Steuermitteln vom Staat finanziert werden. Nach Berechnungen des VdK Deutschland geht es dabei um 37,7 Mrd. Euro. Das entspricht 2,2 Beitragspunkten! 

Als weitere Sofortmaßnahme ist die Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung sofort auf das Niveau der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung anzuheben. So wären die aktuellen Finanzierungsprobleme der Krankenversicherung bis zum Ende der Legislaturperiode in 2029 gelöst.

Roland Sing, Ehrenvorsitzender des VdK-Landesverbandes Baden-Württemberg