Kategorie Gesundheit Gesundheitsvorsorge

Diabetes – die unerkannte Volkskrankheit

Rund 11 Millionen Menschen in Deutschland haben einen diagnostizierten Diabetes. Doch die Dunkelziffer ist hoch: Weitere zwei Millionen Menschen wissen noch nichts von ihrer Erkrankung. Im Schnitt vergehen acht Jahre, bis ein Diabetes erkannt und diagnostiziert wird. Fatal, denn bei richtiger Behandlung können Folgeerkrankungen vermieden werden. Dr. med. Richard Daikeler erklärt im Interview, was einen Diabetes ausmacht und warum Aufklärung so elementar wichtig ist. 

Messgerät zeigt einen Blutzuckerwert von 140mg/dl. Im Hintergrund ist ein Tisch zu zu sehen auf dem Früchte und eine Schüssel mit Obst und Müsli darin liegen.
Gesunde Ernährung, Bewegung und konsequente Blutzuckerkontrolle – so lässt sich das Risiko für die Folgeerkrankungen von Diabetes stark senken. © iStock.com/simpson33

Herr Dr. Daikeler, diese Zahlen sind alarmierend. Was bedeutet das für Sie als Diabetologen?

Das bedeutet für mich, dass ich weiter, auch jetzt im Ruhestand, alles daransetzen werde, die Menschen aufzuklären. Bluthochdruck, Herzinfarkt, Nervenschäden, Sehschwäche: All diese Krankheiten sind mit Diabetes vergesellschaftet oder entstehen durch einen Diabetes, der nicht richtig eingestellt ist. Und die Diabeteszahl steigen immer weiter. Das macht mir Sorgen.

Dann starten wir gleich mit der Aufklärung: Was ist ein Diabetes?

Diabetes ist eine Erkrankung, die gekennzeichnet ist durch erhöhte Blutzuckerwerte. Wird ein Diabetes nicht behandelt und eingestellt, steigt das Risiko für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und beispielsweise auch für den diabetischen Fuß – für schlechtheilende Wunden an den Füßen, die zu Amputationen führen können. Es gibt zwei Formen von Diabetes. Der Typ 1 Diabetes beginnt im Kindesalter und ist eine Autoimmunerkrankung. Typ 1 Diabetiker müssen ein Leben lang Insulin spritzen. Wir haben in Deutschland etwa 370 000 Typ 1 Diabetiker, 32 000 Kinder und Jugendliche. Der Typ 2 Diabetes ist die weit häufigere Form. 7 Prozent aller Erwachsenen haben einen Typ 2 Diabetes. Hier ist es so, dass die Bauchspeicheldrüse noch Insulin produziert, anders als beim Typ 1. Jedoch reicht dieses Insulin nicht aus, um den Blutzucker nach dem Essen ausreichend zu senken. Der Typ 2 Diabetes ist teils ererbt, jedoch zu 100 Prozent eine verhaltensabhängige Erkrankung.

Das heißt, ich kann selbst etwas tun gegen diese Erkrankung?

Ja. Ein Typ 2 Diabetes ist vergesellschaftet mit zu wenig Bewegung, ungesunder Ernährung und Übergewicht. Das heißt, wenn ich nur 5 Prozent meines Körpergewichtes reduziere, verbessern sich sofort meine Blutzuckerwerte und ich brauche weniger Insulin. Oder wenn ich mich nach dem Essen bewege, dann steigt der Blutzuckerspiegel im Blut nicht so stark an. Und auch bei der Ernährung haben wir das selbst in der Hand: Zucker- und kohlenhydrathaltige Nahrung, die schnell verdaut wird, ist besonders riskant. Deshalb ist Vollkornbrot so viel besser als Weißbrot und Obst viel gesünder als feinpürierte Smoothies.

Doch warum wissen zwei Millionen Menschen in Deutschland nichts von ihrer Diabeteserkrankung?

Weil der Typ 2 Diabetes schleichend beginnt und über Jahre keinerlei Symptome verursacht. Das ist das Heimtückische. Doch das Risiko für die Folgeerkrankungen sinkt sofort, wenn ich richtig eingestellt bin. Ich sollte nur nicht jahrelang einen unentdeckten Diabetes haben. Deshalb ist mir die Aufklärung so wichtig.

Portrait von Dr. med. Richard Daikeler

Gehen Sie unbedingt zur Vorsorge. Spätestens mit 50 Jahren sollten sie einmal im Jahr ihren Langzeitzuckerwert messen lassen. Gehen Sie dafür zum Hausarzt. Alle Menschen mit Risikofaktoren, also einem Diabetes in der nahen Verwandtschaft oder Übergewicht, rate ich, den Langzeitzuckerwert ab 40 Jahren jährlich bestimmen zu lassen. Meiden Sie Bäckereien und vor allem: süße Getränke!

Dr. med. Richard Daikeler, Facharzt für Innere Medizin und Diabetologie

Was meinen Sie? Warum lassen die Menschen die Diabetes-Vorsorge so schleifen?

Diabetes ist eine stigmatisierende Erkrankung. Das heißt, die Menschen schämen sich. Dabei kann niemand auf der Welt etwas für eine Krankheit! Und dazu kommt: Verhaltensänderungen sind sehr schwer umzusetzen. Davor haben die Menschen großen Respekt. Man muss dranbleiben.

Was wünschen Sie sich für unser Gesundheitssystem?

Ich wünsche mir, dass es mehr Unterstützung für die Arbeit der Diabetologen gibt. Eine Diabetologische Schwerpunktpraxis besteht immer aus einem Team aus Ärzten und Diabetesberaterinnen. Klar, zu einem guten Umgang mit einem Diabetes gehört die Ernährungsumstellung, die Bewegung. Um Verhaltensänderungen bei den Menschen zu erreichen, führen wir sehr ausführliche Gespräche. Das ist Erwachsenenpädagogik und die braucht Zeit, die uns leider nicht angemessen honoriert wird.

Zur Person

Dr. med. Richard Daikeler ist Facharzt für Innere Medizin und Diabetologie, Vorstand der Diabetologengenossenschaft Baden-Württemberg und Gründungsmitglied der niedergelassenen Diabetologen in Deutschland. Seine Sinsheimer Praxis war die erste mit Diabetes-Schwerpunkt in Baden-Württemberg.