„Das Gespräch suchen, Haltung zeigen, Vorbild sein“
Europawahl 2024: Landesvorsitzender Hans-Josef Hotz im Interview
Die Frage ist nicht nur, wo wir wären ohne unser Europa, ohne die Europäische Union (EU). Die Frage ist vielmehr, wo wir hinwollen in unserem Europa, wie es gelingen kann, den inneren, den sozialen Frieden der Menschen zu sichern? Nur mit klarer Kante gegen Rechtsextremismus, sagt Landesvorsitzender Hans-Josef Hotz.
Wie wäre das Leben in Deutschland ohne die Europäische Union?
Das mag ich mir kaum vorstellen. Im besten Fall, wenn wir trotz fehlender EU in Frieden, Freiheit und in einer Demokratie leben würden, selbst dann, müssten wir ohne die Europäische Union an jeder Grenze unseren Pass zeigen, wir würden ständig Geld wechseln müssen, unsere Kinder und Enkel könnten nicht frei reisen und im europäischen Ausland arbeiten. Und wirtschaftlich würde es uns als Exportnation, die auf gelingenden Außenhandel zwingend angewiesen ist, mit Zöllen und Handelsbeschränkungen natürlich viel schlechter gehen.
„Der VdK ist Teil der wehrhaften Demokratie. Wir sind Vorbilder und wir sind viele.“
Warum gibt es gerade jetzt diese separatistischen Tendenzen? Diese Forderungen nach einem Austritt Deutschlands aus der EU?
Nicht nur in Deutschland haben viele Menschen den Eindruck, dass es nicht mehr fair zugeht. Durch die Inflation und die großen globalen Krisen muss auch unser Bundeshaushalt gewaltige Ausgaben schultern. Die Menschen haben Sorge, dass sie abgehängt werden. Wenn Grundnahrungsmittel immer teurer werden, wenn das Heizen auf einmal 100 Euro mehr im Jahr kostet, dann trifft es die Menschen, deren Einkommen gerade so fürs Leben reicht, besonders hart – sie haben keine Reserven. Und wenn dann in haushaltspolitischen Debatten immer zuerst die staatlichen Sozialleistungen auf den Prüfstand kommen, Kürzungen diskutiert werden, dann macht das vielen Menschen Angst.
Und was machen die Menschen mit dieser Angst?
Am besten organisieren sie sich, stehen zusammen und treten für die Schwächsten unserer Gesellschaft und für einen starken Sozialstaat ein, so wie wir das im größten Sozialverband VdK machen. Mehr als 68.000 sozialrechtliche Beratungen haben wir 2023 in Baden-Württemberg geleistet, so viele, wie noch nie zuvor in einem Jahr. Es ist ganz klar: Die Menschen brauchen einen helfenden Sozialverband, gerade jetzt.
Ja und die anderen, die mit ihren Ängsten allein bleiben, wählen als Weg den der Abschottung. Sie beginnen das Fremde als Bedrohung zu sehen und schüren den Sozialneid beispielweise beim Bürgergeld. Das ist brandgefährlich. Und dann beginnen sie an krude Theorien zu glauben, an eine sogenannte Remigration als Ziel. Wo wären wir denn ohne all die Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land? Die ärztliche und pflegerische Versorgung in Krankenhäusern und Altenheimen würde direkt zusammenbrechen. Wir wären hilflos.
Welche Forderungen hat der VdK an die Europäische Union?
Wir fordern, dass die Säule sozialer Rechte endlich Teil des verbindlichen EU-Vertrags wird. Wir fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort und die Schaffung eines barrierefreien inklusiven Binnenmarktes. Wir im VdK Baden-Württemberg haben uns schon vor vielen Jahren zusammen mit dem VdK Deutschland für einen einheitlichen Europäischen Behindertenausweis eingesetzt. Jetzt wird er kommen und mit ihm der europäische Parkausweis. Reisen wird so viel leichter werden. Wir kommen voran, Schritt für Schritt.
Was können wir jetzt tun?
Jeder Mensch sollte sich einsetzen für unsere Demokratie. Immer und gerade jetzt. Klare Kante gegen Rechtsextremismus. Wir sind Teil der wehrhaften Demokratie. In unserem Land ist die Menschenwürde unantastbar. Jeder Mensch ist gleich viel wert. Das ist ein unfassbar hohes Gut. Ich bin sehr dankbar in einer Demokratie in Frieden leben zu dürfen. Denn das ist ganz und gar nicht selbstverständlich auf der Welt. Einen starken Sozialstaat kann es nur in einer Demokratie geben und Demokratien gedeihen in Frieden. Der einzige Garant für Frieden ist Zusammenarbeit, sind Bündnisse, die Einheit schaffen. Unser Garant für Frieden ist die Europäische Union. Ohne Wenn und Aber. Deshalb rufe ich unsere Mitglieder auf, unbedingt wählen zu gehen, sich für unser vereintes Europa und damit für Frieden einzusetzen, für uns, für unsere Kinder und Enkel.
Was braucht die wehrhafte Demokratie von uns allen?
Haltung, Mut und einen langen Atem. Die Demo-Bewegung gegen Rechtsextremismus ist großartig, doch damit wird es leider nicht getan sein. Jeder einzelne Bürger muss jetzt jede Gelegenheit nutzen mit Freunden und Familie, Nachbarn und Kollegen, am Stammtisch und beim Elternabend ins Gespräch zu kommen. Rechtsextremismus ist in unserer Gesellschaft tief verankert. Immer dann, wenn wir spüren: Hier wird die Menschenwürde mit Füßen getreten – wenn einer Witze über die gleichgeschlechtliche Ehe macht oder eine sagt, Inklusion in der Schule schwächt die Leistung der anderen: Stehen Sie auf! Zeigen Sie Haltung und sagen laut: Nein, so ist das nicht. Ich habe eine andere Meinung! Wir alle sind auch immer Vorbilder. Und wir sind viele: 260.000 Mitglieder hat der VdK allein in Baden-Württemberg! Wir dürfen nicht schweigen. Wir sagen laut Nein. Denn Gewalt in Worten und Gewalt in Taten gehen immer Hand in Hand. Das wissen wir.