Pflegeeinrichtungs- und Dienstesterben stoppen!
- Paritätischer Wohlfahrtsverband, Sozialverband VdK und Altenhilfeträger warnen vor Zusammenbruch des gesamten Versorgungssystems
- Forderung: Bund, Land und Kommunen müssen für ausreichende Finanzierung der Versorgung Pflegebedürftiger sorgen
Gemeinsame Pressemitteilung zum Internationale Tag der älteren Menschen am 1. Oktober 2023
Laut Statistischem Landesamt (09/2023) wird die Zahl der pflegebedürftigen älteren Menschen in Baden-Württemberg bis 2035 um 17 Prozent auf 634.000 ansteigen. Nach einer Hochrechnung wird die Anzahl im Jahr 2055 bei 815.000 pflegebedürftigen Menschen liegen. Anlässlich des Internationalen Tags der älteren Menschen (01.10.) warnen der Paritätische Wohlfahrtsverband, Sozialverband VdK und Altenhilfeträger in Baden-Württemberg vor einem Zusammenbruch des gesamten Versorgungssystems.
Pflegeheime, Kurzzeit- und Tagespflegen sowie ambulante Dienste können die hohen Kosten wie Mieten und Zinsen für Baukredite, gestiegene Sachkosten und Verpflegungskosten sowie Anschaffungs- und Unterhaltskosten für die Fahrzeuge der ambulanten Dienste nicht mehr aufbringen. Viele kleinere ambulante Dienste und Tagespflegen mussten ihre Tätigkeit bereits einstellen. Bund, Land, Kommunen sowie die Pflege- und Krankenkassen sind jetzt in der Pflicht, die Versorgung Pflegebedürftiger durch eine ausreichende Refinanzierung sicherzustellen. Nur so kann das Pflegeeinrichtungs- und Dienstesterben gestoppt werden.
Uta-Micaela Dürig, Vorständin Sozialpolitik des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg:
„Unsere Pflegeeinrichtungen und –dienste können die hohen Kosten für Personal und Investitionen mit immer neuen Auflagen bei der Gebäudeausstattung für Klimaneutralität, Hitzeschutz- und Krisenmaßnahmen sowie Baumaßnahmen im Zuge der Umstellung auf Einzelzimmer nicht mehr aufbringen. Ohne eine ausreichende Refinanzierung müssen Angebote zurückgefahren oder ganz eingestellt werden. Die Landesregierung muss jetzt mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Pflegeangebote und Unterstützungsstrukturen für ältere Menschen sichern und spezielle Förderungen für Baukredite, Digitalisierung und Klimaschutz auflegen. Auch die Pflege- und Krankenkassen sowie Sozialhilfeträger sind verpflichtet, ihrem Sicherstellungsauftrag gegenüber den Versicherten nachzukommen und die Refinanzierung der Pflegeleistungen sicherzustellen.“
Hans-Josef Hotz, Landesverbandsvorsitzender des Sozialverbands VdK Baden-Württemberg:
„Für pflegende Angehörige ist die Suche nach ambulanten Pflegediensten inzwischen eine echte Herausforderung. Dienste und Einrichtungen müssen die stark gestiegenen Sach- und Personalkosten einseitig an die Pflegebedürftigen weitergeben. Die zur Verfügung stehenden Leistungen der Pflegeversicherungen reichen oft nicht aus – dies verschärft das Problem zusätzlich. Die Pflegebedürftigen müssen immer mehr zuzahlen oder den Leistungsbezug einschränken. Angesichts dieser prekären Situation brauchen wir endlich eine Pflegevollversicherung: Die Pflegeversicherung sollte wie die Krankenversicherung sämtliche Kosten tragen! Nur so kann sichergestellt werden, dass jeder, der auf Pflege angewiesen ist, die benötigte Unterstützung tatsächlich erhält. Und auch das Land ist gefordert: Bayern investiert in sein Landespflegegeld jährlich über 400 Millionen Euro! In Baden-Württemberg dagegen sind im Haushalt für die Pflege nur 17,5 Millionen Euro vorgesehen. Es ist höchste Zeit, dass das Land seiner Verantwortung gerecht wird und in die Versorgungssicherheit investiert!“
Lars-Ejnar Sterley, Landesgeschäftsführer des ASB Baden-Württemberg:
„Die Versorgungssicherheit mit pflegerischen Leistungen ist bereits heute nicht mehr sichergestellt. Die Träger der Pflegeeinrichtungen werden mit den Problemen allein gelassen. Die Politik reagiert zu zögerlich oder auch gar nicht. Wir als Träger benötigen dringend Erleichterungen bei der Zuwanderung von Fachkräften und Auszubildenden, um den Fachkräftemangel entgegenwirken zu können. Zudem sollte es eine Absenkung der Fachkraftquote durch Delegation und Aufsicht geben. Auch sollte über die Aussetzung der Heimmindestbauverordnung in Bezug auf den Abbau von Doppelzimmern beraten werden. Je weniger Zimmer, vor allem im ländlichen Bereich, zur Verfügung stehen, desto desaströser wird auch die Versorgung der Menschen.“
Ingrid Hastedt, Vorstandsvorsitzende des Wohlfahrtswerks für Baden-Württemberg:
„Versorgungssicherheit in der Pflege hängt auch vom Funktionieren des Gesamtsystems ab: Wenn eine Pflegekraft morgens nicht zum Dienst kommen kann, weil die Betreuung in der Kita kurzfristig ausfällt, führt das zu Dienstplanänderungen, die ihre Kollegen belasten. Wenn Ausländerbehörden zu überlastet sind, um Auszubildenden vor Ausbildungsstart die nötigen Papiere auszustellen, geht uns Nachwuchs verloren. Wenn Hausarztpraxen keine neuen Patienten mehr aufnehmen können, verhindert dies Einzüge von Bewohnern und Kurzzeitpflegegästen. Und zeitnahe Pflegesatzanpassungen wegen Tariferhöhungen scheitern auch an fehlenden verfügbaren Terminen bei Kostenträgern und deren fehlender Bereitschaft zu kurzen Laufzeiten von Pflegesatzvereinbarungen. Für all dieses brauchen wir Lösungen.“
Thomas Jaskolka, Leitung Pflegemanagement bei der STIFTUNG INNOVATION & PFLEGE, Sindelfingen:
„Inmitten der kritischen Lage im Pflegesektor reicht empathische Pflege allein nicht aus. Der ambulante Dienst ist besonders dynamisch und fordernd, erfordert also mehr als nur Mitgefühl: Hier sind klare, effiziente Arbeitsstrukturen unabdingbar. Ohne eine aktive politische Steuerung und finanzielle Unterstützung riskieren wir, dass die ambulante Pflege den Anforderungen der Krise nicht gerecht wird. Es bedarf einer nachhaltigen, wirtschaftlich tragfähigen Strategie, die nicht nur die ökonomische Seite berücksichtigt, sondern auch die humane Komponente der Pflege. Finanzielle Förderungen, Investitionen und eine faire, kostendeckende Refinanzierung sind entscheidende Faktoren, um die Pflegelandschaft in Baden-Württemberg zu stabilisieren und weiterzuentwickeln.“
Alexander Gysinn, Geschäftsführer Haus am Fels, Bretzfeld-Schwabbach:
„Die aktuelle Lage der Leistungserbringer in der Altenpflege ist prekär, da unterfinanziert. Sie erbringen Versorgungsleistungen, die in der Verantwortung der öffentlichen Hand liegen. Dabei gehen sie finanziell in Vorleistung, weil die Erstattungen teils Monate auf sich warten lassen. Deshalb einfach diese Versorgungsleistungen einzustellen, ist für soziale Einrichtungen keine Option. Daher muss die öffentliche Hand ihrer Verantwortung nachkommen und für eine zeitnahe und angemessene Erstattung der in ihrem Auftrag erbrachten Leistungen sorgen. Nur so sind Pflegeeinrichtungen langfristig in der Lage, ihre Versorgungsverträge zu erfüllen.“