Der Rettungsanker

Von: Julia Nemetschek-Renz

Ab Oktober 2023 ist der Pflegestützpunkt in Kirchzarten nicht mehr besetzt, weil die Mitarbeiterin in den Ruhestand gegangen ist. Und damit gibt es für alle Fragen zum Thema Pflegebedürftigkeit keine Anlaufstelle mehr. Die Menschen stehen mit ihren Sorgen und Ängsten allein da. Doch da ist eine, die sich auskennt, das spricht sich schnell herum: Brigitte Mauz, VdK-Ortsverbandsvorsitzende in Kirchzarten. Und was macht Brigitte Mauz? Sie öffnet all den Hilfesuchenden die Tür.

Brigitte Mauz blickt verständnisvoll auf Frau Johanna Vogt, die sie zu Hause besucht und Rat braucht.
„Gemeinsam einen roten Faden in die Katastrophe bringen.“ Brigitte Mauz berät Kirchzartener Bürger und VdK-Mitglieder in ihrem Wohnzimmer – hier im Gespräch mit Johanna Vogt (links). © Nemetschek-Renz VdK LV BW

„Ja klar, die standen dann alle bei mir vor der Tür“, erzählt Brigitte Mauz. Sie sitzt an dem großen Holztisch in ihrem Wohnzimmer, hinter sich eine volle Bücherwand und Aktenordner, vor sich der gedeckte Tisch für das Mittagsessen und neben sich auf einem Stuhl am Rand: Stapel mit VdK-Unterlagen, Broschüren zur Vorsorgevollmacht, Adressen und Telefonnummern. Fünf bis sieben Menschen berät sie im Schnitt in der Woche, als der Pflegestützpunkt geschlossen hat. Manchmal hat sie drei Beratungen am Tag. Die Menschen klingeln morgens, abends und am Wochenende. „Und da stehen sie
dann wie ein Häufchen Elend vor der Tür. Ich kann all diese Menschen, die Hilfe ersuchen, doch nicht einfach wegschicken!“

Brigitte Mauz bittet sie herein, in ihr Wohnzimmer, egal ob VdK-Mitglieder oder nicht, bietet einen Kaffee an und hört zu. „All mein Wissen können sie haben.“ Sie versucht aufzudröseln: Um was geht es? Rät zur Rechtsberatung in Freiburg, wenn es um juristische Fragen geht. Bis vor zwei Jahren arbeitete Brigitte Mauz Vollzeit, ist gelernte Erzieherin und Fachwirtin für Führung und Organisation, hat viele Jahre als Gesamtpersonalrätin und Schwerbehindertenvertreterin gearbeitet, war in der Verdi-Bundestarifkommission. Ihr Mann ist pflegebedürftig und sie geht in den vorzeitigen Ruhestand, um sich um ihn zu kümmern. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie 2012 ehrenamtlich den Ortsverbandsvorsitz in Kirchzarten übernommen, sie Vorsitzende, er ihr Stellvertreter.

Heute hat sie einen anderen Stellvertreter, den Ortsverband mit 320 Mitgliedern führt sie weiterhin. Die Jugendarbeit liegt ihr besonders am Herzen – Kirchzarten hat einen VdK-Jugendvertreter – die Organisation von Veranstaltungen und das gemeinsame Anpacken im Vorstandsteam. Seit 2024 gibt es für die Kirchzartener Bürgerinnen und Bürger wieder einen Pflegestützpunkt, allerdings weit weg, in Titisee-Neustadt. Die Institution Brigitte Mauz ist geblieben. Es klingelt an der Tür. Brigitte Mauz hat das Mittagessen im Ofen, der Tisch ist gedeckt. Egal. Johanna Vogt steht vor der Tür. Kirchzartener Bürgerin, 82 Jahre alt und bestimmt zum zehnten Mal hier. Die beiden begrüßen sich freundschaftlich. Brigitte Mauz bietet einen Platz an ihrem Tisch an.

Brigitte Mauz steht am Eingang ihres Hauses.
Ihre Tür steht allen offen – Brigitte Mauz im Eingang ihres Hauses. © Nemetschek-Renz VdK LV BW

Eine Institution

Mitessen möchte Frau Vogt nicht, sie hat nur kurz ein paar Fragen. Und erzählt, dass sie gar nicht mehr wisse, wie sie damals auf Frau Mauz kam, als die Katastrophe passierte. Ihr Mann ist mit schwerer Krankheit in der Klinik, plötzlich pflegebedürftig und das Entlassmanagement im Krankenhaus sagt ihr: „Hier kann er nicht bleiben“. Einen Pflegeheimplatz hat sie nicht. Johanna Vogt schläft nachts höchstens noch zwei Stunden und ist verzweifelt. „Ich hatte null Ahnung, was ich machen soll.“ Da erfährt sie vom VdK und von Brigitte Mauz und läutet bei ihr an der Tür. Brigitte Mauz hört zu, bietet Hilfe an. „Gemeinsam haben wir einen roten Faden in die Katastrophe gebracht.“ Die VdK-Vorsitzende rät ihr zur Vorsorgevollmacht und zum Gang zur Sozialstation. Organisiert über ihre Kontakte erst einen Kurzzeitpflege- und dann einen Seniorenheimplatz.

„Sie war mein Rettungsanker“, sagt Johanna Vogt. „Schon nach dem ersten Gespräch habe ich mich besser gefühlt. Ich hatte Tipps, wie ich anfangen kann, einen Plan.“ Sie wird VdK-Mitglied.

Brigitte Mauz ist nun wahrlich eine, die weiß, wie es den Menschen geht in unserem Land. Was würde sie sich wünschen? „Die Politik handelt sehr kurzsichtig. Die Situation in der Altenhilfe ist höchst prekär, das Thema Pflege zu wenig präsent.“ Sprichts und erzählt von der Bürgergemeinschaft, die sie im Mai gemeinsam mit der SPDkurz fürSozialdemokratische Partei Deutschlands-Politikerin Sabine Beck und anderen gegründet hat. Dass sie es gemeinsam waren, ist ihr äußerst wichtig. Füreinander Kirchzarten heißt der Verein. Das Ziel: Generationenübergreifend sorgende Gemeinschaft sein.