Ein Leben für die Nächstenpflege
Rund fünf Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Etwa fünf von sechs Pflegebedürftigen werden zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt und das sind zu 72 Prozent Frauen. Die 87-jährige Elisabeth Knörle ist eine von ihnen. Jahrelang hat sie ihren Mann allein versorgt, gewaschen, umgezogen und gefüttert. Seit einiger Zeit ist sie selbst pflegebedürftig. Ein ambulanter Pflegedienst unterstützt das Paar zweimal am Tag. Und dennoch pflegt sie weiter. Tag für Tag. Wie schafft sie das? Was gibt ihr Kraft? Und was wünscht sie sich von der Politik und der Gesellschaft?
Vorsichtig hat sich Elisabeth Knörle an den guten Esstisch im Wohnzimmer gesetzt. Seit sie im letzten Jahr gestürzt ist, braucht sie einen Rollator. Schultern und Hüfte schmerzen. Fünf Kinder sind in diesem Haus groß geworden. Vier Mädchen und ein Junge. Für sie hat sie nebenan gekocht, hier am Tisch bei den Hausaufgaben geholfen, ist mit ihnen raus gegangen ins Feld hinterm Haus zum Toben und hat sich nachts zu ihnen ins Bett gelegt, wenn sie Alpträume hatten.
Fünf Kinder und ein Ehrenamt
Als die Jüngste in die erste Klasse kommt, startet sie mit Heimarbeit. Wenig später wird sie in Teilzeit Assistentin einer Unternehmerin, kümmert sich um Kinder, Haushalt und Büro der Chefin. Ein Ford Capri ist ihr Dienstauto.
Zwischendrin pflegt sie ihre Mutter, wird 2001 VdK-Mitglied, dann Frauenvertreterin des Kreisverbands Heilbronn – und ist immer eine, die kämpft. Für ihre Kinder, ihre Arbeitgeberin, für die VdK-Mitglieder. „Ich hab mal zu einer VdK-Versammlung einen ganzen Schwung Inkontinenz-Einlagen auf dem Tisch vor mir verteilt. Die hatte ich vorher in Sanitätshäusern
besorgt und danach waren sie alle weg. Ich hab gesagt: ‚Ihr müsst die nicht in der Drogerie für viel Geld kaufen, nur weil ihr
euch schämt! Die bekommt ihr auf Rezept von der Krankenkasse!‘“ Aufklären, Mut machen und kämpfen für das, was einem zusteht. Das hat sie beim VdK gelernt.
Niedrige Rente trotz Sorgearbeit
Und heute? „Von meiner Rente könnte ich mir noch nicht mal die Miete für eine 2-Zimmer-Wohnung leisten“, sagt sie. Sie habe nur das Glück, dass ihr Mann eine ausreichende Pension habe. „Pflege macht arm. Das ist tatsächlich so.“
Noch immer fehle denen, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, ein halber Rentenpunkt, noch immer gäbe es kein Gehalt für die Pflege von Kindern und Angehörigen. Und noch immer wüssten viele Menschen nicht, was ihnen zusteht. Das macht sie wütend. Noch immer.
Sozialverband VdK fordert ein Care-Gehalt
„Wir alle haben doch ein großes Soll erfüllt! Und sind dann arm im Alter!“ Was würde sie sich wünschen von Politik und Gesellschaft? „Dass die Pflegearbeit endlich wirklich wertgeschätzt wird. Dass Mütter und Väter, die ihre Kinder die ersten drei Jahre zu Hause betreuen, ein Gehalt bekommen. Dass die Pflegenden in unserer Gesellschaft nicht so allein
gelassen werden!“ So könne sie nur jeder Mutter raten: „Macht es nicht so wie ich, geht früher wieder arbeiten!“
Kurz ist sie abgelenkt. Ihr Mann bewegt sich im Rollstuhl durch die Küche, mit den Füßen treibt er sich an. Schritt für
Schritt. Elisabeth Knörle hält inne. „Nein alles gut. Ich dachte nur, nicht, dass er den Herd anmacht. Aber das hätte ich gehört.“
Geduld und kleine Momente des Glücks
Wie gelingt ihr die Pflege ihres Mannes, Tag für Tag? Was ist schwer? Was schenkt Kraft?
„Alles dauert ewig. Das ist schwer. Wenn ich den Tisch decke, muss ich jeden Teller und jedes Glas einzeln mit meinem Rollator zum Tisch fahren. Mich in Geduld üben, das ist ein lebenslanger Prozess.“ Kraft gibt ihr, wenn sie sich
selbst nicht vergisst. Sich auf der Terrasse in die Sonne setzt, die Eidechsen beobachtet, den Vögeln zuhört und ihre Blumen anschaut.
Und ist sie manchmal vielleicht auch ein klein wenig stolz auf ihr Leben? „Stolz“ würde sie sofort verneinen. „Das hast du wieder gemeistert!“, denkt sie, wenn sie sich abends zur Ruhe legt.
Mütter pflegen unbezahlt
Frauen leisten in Deutschland noch immer deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer – das zeigt der Gender-Care-Gap des Statistischen Landesamtes deutlich. Und diese unbezahlte Sorgearbeit führt zu einer geringeren Rente. Der Sozialverband VdK fordert deshalb schon seit Jahren ein Care-Gehalt.
Die unbezahlte Sorgearbeit umfasst neben Hausarbeit und Haushaltsorganisation die Kinderbetreuung sowie die Pflege von
Angehörigen. Hinzu kommen auch freiwilliges und ehrenamtliches Engagement sowie die Unterstützung haushaltsfremder Personen.