Kategorie Sozialrecht Barrierefreiheit Teilhabe Schwerbehinderung

Langer Atem zahlt sich aus!

Berthold Werner aus Griesingen besitzt den berühmten langen Atem: Trotz anfänglich schlechter Erfolgsaussichten ließ er sich nicht entmutigen und stritt gut zwei Jahre mit seiner Krankenkasse AOK um einen schnelleren Rollstuhl. Anfang 2020 bekam Werner vor dem Sozialgericht Ulm doch noch Recht – dort war es zu einem Vergleich mit der AOK gekommen.

VdK-Vorstandsmitglied Berthold Werner sitzt in seinem Rolli
VdK-Vorstandsmitglied Berthold Werner. © privat

Der 48-Jährige, der auch Beisitzer im VdK-Ortsverband ist, kann sich nun wieder auf einen bis zu zehn Stundenkilometer schnellen Elektrorollstuhl freuen – und auf weiterhin gute Mobilität. Seit einem Badeunfall im Urlaub 1998 ist das VdK-Mitglied querschnittgelähmt. 

In Ehingen hatten viele Menschen Berthold Werner bei seinem Kampf um einen schnelleren E-Rolli geholfen: Darunter auch VdK-Sozialrechtsreferenten aus Ulm, Biberach und Sigmaringen. Der Ortsverband Bad Schussenried sowie Werners Mitstreitern Gabriel Dreher und Jürgen Pätzold hatte eigens eine Unterschriftenaktion für den schwerstbehinderten Vorstandskollegen durchgeführt, die rund 3.000 Menschen aktiv unterstützt hatten.

Ebenso hatten sich Vorsitzender Helmut Stebner und Vorstandskollege Robert Schafitel vom Kreisverband Biberach für Berthold Werner stark gemacht, um ihm zu mehr Lebensqualität zu verhelfen. Werner hatte zudem auf die tatkräftige Hilfe des ehemaligen Griesinger Bürgermeisters Ulrich Oberdorfer und auf die Unterstützung seines früheren Vorgesetzten bei der Allmendinger Firma Rampf, Hans-Ulrich Maier, setzen können. Beide betreuen den Querschnittgelähmten, der auch seine Arme und Hände nur eingeschränkt bewegen kann. Darüber hinaus setzte sich das Haus Regenta in Bad Schussenried, in dem der 48-Jährige seit dem Tod seiner Mutter und früheren Pflegeperson lebt, für Werners Anliegen ein.

Zehn oder nur sechs km/h

„Mit dem schnelleren Rollstuhl habe ich eine größere Reichweite“, betonte Berthold Werner gegenüber den Medien. Insbesondere die Schwäbische Zeitung hatte ausführlich über seinen Fall berichtet. Werner, der seit dem verhängnisvollen Unfall vor 22 Jahren in der Dominikanischen Republik auf einen Elektrorollstuhl angewiesen ist, hatte bereits 2018 einen Ersatz für den alten und abgenutzten Rolli benötigt. Auf den bis zu zehn Stundenkilometer schnellen Rollstuhl, den er bis damals gehabt hatte, legte Werner auch weiterhin großen Wert.

Schließlich engagiert sich das VdK-Mitglied, das vom vierten Halswirbel abwärts gelähmt ist, nicht nur im Ortsverbandsvorstand ehrenamtlich. Der Tetraplegiker fungiert auch als Sprecher des Heimbeirats. Dort vertritt er die gut 150 Bewohner im Wohn- und Pflegezentrum seiner Stadt. „Ohne schnelleren Rollstuhl kein Ehrenamt!“, bekräftigte Berthold Werner denn auch mehrfach und verwies auf täglich lange Fahrten in Bad Schussenried und Umgebung, um Familien-, Veranstaltungs- und Fortbildungsbesuche unternehmen zu können.

Teilhabe ist wichtig

Doch für die zuständige Krankenkasse war der Fall klar: Ein nur maximal sechs Kilometer schneller Rolli sollte genügen. Im Rahmen des langen Rechtsstreits mit der AOK, der bei Werner schon einen dicken Aktenordner füllt, drehte sich dann alles um die Frage: „Wie schnell darf der Rollstuhl sein?“ Dass die AOK ihm plötzlich nicht mehr den schnelleren Rolli bewilligen wollte, stieß bei Kläger Werner auf großes Kopfschütteln. Schließlich konnte er bis zum Jahr 2018, als der Streit begann, bereits eine 17-jährige Erfahrung im zehn Kilometer schnellen E-Rolli vorweisen.

Für die Krankenkasse stellte sich die Sache jedoch ganz anders dar. Da war plötzlich davon die Rede, dass nie ein schneller Rolli bewilligt worden sei. Erst mit Werners Neuantrag sei einem AOK-Sachbearbeiter die Diskrepanz aufgefallen. Die Kasse berief sich sogleich auf die Gesetzeslage im Fünften Sozialgesetzbuch (SGBkurz fürSozialgesetzbuch V), wo es in punkto Hilfsmittelversorgung unter anderem heißt, dass die Leistungen das „Maß des Notwendigen“ nicht überschreiten dürfen und dass Leistungen, die nicht notwendig sind, nicht bewilligt werden dürfen – eben auch keine schnelleren Rollstühle.

Erzwungerer Bettaufenthalt schadet Gesundheit und Psyche

Vor einem Jahr hatte sich die Lage dann zugespitzt, als Berthold Werner, der weiterhin auf einem schnellen Rolli bestand (und ein neues sechs km/h-Gefährt nicht wollte), von der Kasse die Reparatur des alten zehn km/h schnellen Rollstuhls verlangte. Denn dessen Steuerung war zwischenzeitlich kaputtgegangen. Das „Nein“ der AOK zur Reparatur des Rollstuhls, der nach wie vor in ihrem Eigentum stand, hatte den Querschnittgelähmten sodann zu einem längeren Aufenthalt im Bett gezwungen – eine fatale Situation für den Betroffenen und dessen Gesundheit.

Schnellerer Rolli bei Mehrkostenübernahme grundsätzlich möglich

Trotz dieser über Monate hinweg total verfahrenen Situation konnte im Januar 2020 vor dem Sozialgericht Ulm doch noch eine Einigung unter der Mitwirkung der Ulmer VdK-Sozialrechtsreferentin Manuela Wißler erzielt werden. Im Wege des Vergleichs einigten sich die Parteien darauf, dass Berthold Werner einen neuen Sechs-Kilometer-Rollstuhl von der AOK erhält, den er dann auch – und wie von ihm selbst vorgeschlagen – auf eigene Kosten für 800 bis 1200 Euro auf zehn km/h aufrüsten lassen darf. Zugleich muss er die Haftpflichtversicherung, die rund 70 Euro jährlich ausmacht, tragen. Das müssen, wie VdK-Juristin Wißler bestätigte, grundsätzlich alle tun, die schneller als sechs Stundenkilometer im Rollstuhl unterwegs sind. Werner ist jetzt froh, dass er – wie jahrelang gewohnt – einen schnellen Rolli bekommt. Und die AOK freut sich über die vor Gericht erzielte Rechtssicherheit.