Kategorie Inklusion Ehrenamt Behinderung Teilhabe

„Inklusion kann jeder, wir müssen nur anfangen!“

Von: Julia Nemetschek-Renz

Seit 14 Jahren schon ist Kathrin Schröder Schwerbehindertenvertrauensperson (SBVkurz fürSchwerbehindertenvertretung) bei Hansgrohe und seit Oktober 2024 neue VdK-Landesobfrau für Menschen mit Behinderungen. Sie selbst ist in einer Großfamilie mit Familienbetrieb aufgewachsen – Zusammenleben und -arbeiten mit Menschen mit Behinderung war für sie immer selbstverständlich. Warum sie sich mehr Zusammenhalt auch in unserer Gesellschaft wünscht, weshalb es nicht nur bei Lippenbekenntnissen zu Inklusion und Teilhabe bleiben darf und was sie vorhat, als Landesobfrau im VdK, erzählt sie hier im Interview.

Arbeit in einem Atelier, ein Mitarbeiter arbeitet mit seiner Kollegin mit Downsyndrom
Zusammenleben und gemeinsam arbeiten: in Großfamilien ist das selbstverständlich. „Heute brauchen wir rechtliche Verbindlichkeiten, damit Inklusion gelingen kann“, sagt Kathrin Schröder. © iStock.com/AnnaStills

Frau Schröder, Sie sind in einer Großfamilie aufgewachsen. Diese Erfahrung fehlt heute vielen Menschen in unserer Gesellschaft. 

Für mich war es selbstverständlich, dass manche Menschen eine Behinderung haben und trotzdem natürlich komplett bei allem dabei sind. Und auch, dass ältere Familienmitglieder irgendwann pflegebedürftig werden. Bei meinem Schwager habe ich miterlebt, wie schwer der Berufseinstieg sein kann mit einer Schwerbehinderung. Das alles hat mich sehr geprägt. Fehlen heute vielen Menschen diese familiären Kontakte zu Menschen mit Behinderung, dann ist es wahrscheinlich doch um einiges schwieriger unbefangen, respektvoll und achtsam aufeinander zuzugehen.

Ist es nicht so, dass wir in Sachen Inklusion schon sehr viel erreicht haben?

Na klar sind wir auf einem guten Weg. Doch, wenn wir ehrlich sind, das meiste sind doch Lippenbekenntnisse. Logisch, wir sind alle für die UN-Behindertenrechtskonvention, für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung oder stehen hinter dem BTHG, dem Bundesteilhabegesetz. Aber die Frage ist doch, was ist wirklich verbindlich?

Es gibt zu wenig Verbindlichkeiten in unseren Gesetzen?

Ja genau. Wenn wir uns nur die Lage der Schwerbehindertenvertrauenspersonen (SBVkurz fürSchwerbehindertenvertretung) in den Betrieben anschauen: Ab fünf Menschen mit Schwerbehinderung sollte ein Betrieb eine SBVkurz fürSchwerbehindertenvertretung haben. Das schon. Wir als Vertrauenspersonen sind leider nur in beratender Funktion tätig. Wir brauchen mehr Verbindlichkeiten. Die Qualifizierung der SBVkurz fürSchwerbehindertenvertretung und auch der Inklusionsbeauftragten muss endlich einheitlicher geregelt sein. Arbeitgeber, die die Beschäftigungsquote von fünf Prozent an Menschen mit Behinderung nicht erfüllen, müssen endlich wirklich sanktioniert werden. Im Moment können sie sich einfach freikaufen. Barrierefreiheit der Arbeitsstätte sollte verpflichtend sein und beim Neubau von Arbeitsstätten sollte die Einhaltung bestimmter baulicher und technischer Mindeststandards zur Gewährleistung der Barrierefreiheit vorgeschrieben sein. 

Und wie sieht es in der Gesellschaft mit den Verbindlichkeiten aus?

Auch da fehlen sie. Alle sind für Barrierefreiheit, aber wo wird sie denn umgesetzt? Und natürlich fängt Inklusion eben bei jedem selbst an. Wenn ein Arzt beispielsweise seine Praxis im 4. Stock hat, es aber nicht schafft, einen barrierefreien Zugang zu gewährleisten, dann weiß ich auch nicht... Hier fehlen die klaren Verbindlichkeiten, damit Teilhabe in unserer Gesellschaft tatsächlich gelingen kann.

Was möchten Sie als VdK-Landesobfrau für Menschen mit Behinderung erreichen?

Erstmal möchte ich zuhören. Wir haben in Baden-Württemberg ja über 1000 Ortsverbände und fast alle haben Obleute für die Menschen mit Behinderung. Ich möchte in den Gesprächen erfahren, was die Menschen für ihre Arbeit vor Ort brauchen, welchen Bedarf sie haben, um ihre Arbeit in den Kommunen gut zu machen. Und was fehlt vor Ort, auch in den Gemeinden? Was sagen die Mitglieder? Und alle diese Wünsche werde ich dann bündeln und hier in den Landesvorstand einbringen. Damit sich der VdK-Landesverband dann weiterhin ganz gezielt, auch politisch, einsetzen kann.

Wie wird uns allen denn Inklusion gelingen? Was brauchen wir?

Eigentlich ist es doch so leicht: Wir alle können respektvoll, mit Interesse und Neugierde, aufeinander zugehen, uns zuhören und schauen, was braucht der andere von mir? Dann wäre schon so viel gewonnen. Doch tatsächlich macht mir das Bundestagswahlergebnis schon Sorgen. Wir müssen wachsam bleiben und die Rechte der Menschen mit Behinderung schützen und verteidigen. Zum Glück sind wir so viele. In über 1000 Ortsverbänden im ganzen Land geben unsere VdK-Mitglieder ihr Wissen weiter, stellen Menschen mit Behinderung ihre Rechte zur Seite und kämpfen vor Ort für gleichberechtigte Teilhabe. 1000 Ortsverbände, über 269 000 Mitglieder: Das hat Wucht!

Das Gespräch führte Julia Nemetschek-Renz

Arbeitssituation bei der Lebenshilfe, mehrere Mitarbeiter sitzen um einen Schreibtisch, vor sich zahlreiche Ordner, teilweise aufgeschlagen. Die Mitarbeiter blättern die Ordner durch und entfernen alles, was nicht Papier ist.

Datenschutz trifft Inklusion

Die Aktenvernichtung der ASW+W gGmbH beschäftigt in ihren Werkstätten Mitarbeiter mit starken Behinderungen im zweiten Arbeitsmarkt – ganz nach deren Möglichkeiten.