Neue Bedeutung für den Volkstrauertag

Der VdK-Ortsverband hat am Volkstrauertag an der zentralen Totengedenkfeier der Stadt Filderstadt in Sielmingen mitgewirkt. Die Vorsitzende Ines Schmidt stellte in ihrer Rede eines besonders heraus: „Der Volkstrauertag bekommt neue Bedeutung: Er erinnert nicht nur an Vergangenes, sondern an unsere Verantwortung heute!“
In der würdigen, gut besuchten Feierstunde in der Aussegnungshalle auf dem Oberen Friedhof, die vom Posaunenchor Bonlanden musikalisch begleitet wurde, sagte Oberbürgermeister Christoph Traub unter anderem in seiner Ansprache: „Der Volkstrauertag macht uns immer wieder darauf aufmerksam, dass jede und jeder von uns für Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden einzutreten hat. Dabei ist das, wofür der Volkstrauertag steht, so aktuell wie lange nicht mehr in unserer Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, das sich 2025 zum 80. Mal jährt.“
Pastoralreferent Reinhold Walter sprach ein Gebet, und die Reservistenkameradschaft Filder hielt zur Kranzniederlegung die Ehrenwache.
Die Rede der VdK-Vorsitzenden Ines Schmidt im Wortlaut
„Wir versammeln uns heute am Volkstrauertag, um der Opfer von Krieg und Gewalt zu gedenken. Es ist ein Tag der Erinnerung, der Mahnung und der stillen Verbundenheit mit allen Menschen, deren Leben durch Krieg zerstört oder für immer geprägt wurde.
Wenn wir auf unsere Geschichte schauen, dann erinnern wir uns an unermessliches Leid, an verlorene Lebenswege, an gebrochene Familien und an Generationen, die den Krieg nicht nur kannten, sondern am eignen Leib erleben mussten. Diese Erinnerung ist schmerzhaft – und gerade deshalb auch notwendig.
Als Sozialverband VdK wissen wir, wie sehr Krieg und gesellschaftliche Erschütterungen in das Leben der Menschen hineinwirken. Auch Jahre und Jahrzehnte später sind die Folgen spürbar: in Familienbiografien, in sozialen Strukturen, in unserer gemeinsamen Verantwortung füreinander. Auch meine Familie war durch Flucht und Vertreibung aus Schlesien betroffen. Diese Erlebnisse prägen bis heute und werden gerade jetzt im Alter bei manchen, die diese schreckliche Zeit als Kinder persönlich miterlebt haben, präsenter.
Doch in diesem Jahr ist der Volkstrauertag von einer neuen Nachdenklichkeit begleitet. Die Welt um uns herum hat sich verändert. Die Kriege und Konflikte, die wir beobachten – in der Ukraine, im Nahen Osten, aber auch an vielen anderen Orten, die kaum die nötige Aufmerksamkeit bekommen – rücken uns näher, als wir es lange Zeit gewohnt waren.
Besonders die Ukraine liegt uns in Filderstadt am Herzen. Unsere Partnerstadt Poltawa durchlebt seit über zweieinhalb Jahren eine Realität des Krieges, die in unserer Vorstellung kaum Platz findet. Viele von uns haben persönliche Kontakte dorthin – zu Menschen, deren Alltag von Angst, Verlust und Hoffnung geprägt ist. Diese Partnerschaft macht den Krieg für uns greifbarer und lässt uns tiefer verstehen, was es bedeutet, in solchen Zeiten Mensch zu bleiben.
Und auch in Deutschland spüren wir, dass Frieden kein abstrakter Zustand ist. Die politische Diskussion um Sicherheit, Verteidigung und Bundeswehr ist zurückgekehrt. Die neue Pflicht zur Musterung für den Jahrgang 2008 hat viele junge Menschen unerwartet getroffen. Plötzlich rücken Themen in ihr Leben, von denen sie glaubten, sie gehörten längst der Vergangenheit an: Krieg, Verteidigung, mögliche Einsätze. Was für frühere Generationen selbstverständlich war, wirkt für viele von ihnen neu, fremd und beunruhigend.
Und gerade deshalb bekommt der Volkstrauertag in diesem Jahr – vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit – für manche junge Menschen eine neue Bedeutung. Ein Tag, der bisher für viele eher abstrakt war, wird auf einmal greifbarer: als Gedenken an diejenigen, deren Leben durch Krieg zerstört wurde, und als Erinnerung daran, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist.
Wenn junge Menschen heute erleben, dass politische Entwicklungen auf einmal ganz persönlich zu ihnen vordringen, schauen sie vermutlich anders auf diesen Tag. Nicht aus historischem Abstand, sondern mit dem Gefühl, dass die Geschichten, derer wir heute gedenken, etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun haben könnten. Der Volkstrauertag wird damit zu einem Moment, der nicht nur an die Vergangenheit erinnert, sondern auch zeigt, welche Verantwortung unsere Gesellschaft heute trägt, damit sich das Leid früherer Generationen nicht wiederholt.
Doch nicht nur für die Jugend, auch für uns als gesamte Gesellschaft gewinnt dieser Tag an neuer Tiefe. Wir sehen, dass der Frieden fragiler geworden ist. Wir sehen, wie politische Spannungen weltweit zunehmen.
Und wir sehen mit Sorge, wie irrationale oder populistische Aussagen und Entscheidungen – egal in welchem Land sie getroffen werden – das Potenzial haben, Konflikte zu verschärfen.
All das führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, an einem Tag wie heute innezuhalten. Wir erinnern uns nicht nur an die Toten der Vergangenheit – wir erinnern uns auch daran, was Krieg den Lebenden antut. Wir erinnern uns daran, wie schnell Frieden verloren gehen kann. Und wir erinnern uns daran, dass wir als Gesellschaft verpflichtet sind, wachsam zu bleiben.
Der Volkstrauertag ist kein Tag, der uns in die Vergangenheit zurückzieht. Er ist ein Tag, der uns bewusst macht, wie wertvoll und verletzlich unser Zusammenleben ist. Ein Tag, der aufzeigt, wie wichtig Mitgefühl, Solidarität und Zusammenhalt sind – Werte, für die der VdK seit seiner Gründung bis heute steht.
Liebe Anwesende,
lassen Sie uns heute nicht nur an die Opfer von Krieg und Gewalt denken, sondern auch daran, wie wir miteinander leben wollen.
Wie wir unser Land, unsere Demokratie, unseren Frieden schützen können – nicht durch Abgrenzung, sondern durch Menschlichkeit. Nicht durch Angst, sondern durch Verantwortung füreinander.
Im Gedenken an die Opfer sagen wir heute:
Wir vergessen sie nicht.
Wir tragen ihre Geschichten weiter.
Und wir ziehen aus ihrer Geschichte die Kraft, jeden Tag für eine friedlichere und menschlichere Welt einzutreten.“




