Kategorie Ortsverband Filderstadt

„Jeder Patient muss uns gleich viel wert sein“

Sie diskutierten zur Lage der medizinischen Versorgung in Filderstadt (v.l.): Roland Sing, Dr. Wolfgang Miller, Ines Schmidt und Christoph Traub
Sie diskutierten zur Lage der medizinischen Versorgung in Filderstadt (v.l.): Roland Sing, Dr. Wolfgang Miller, Ines Schmidt und Christoph Traub © Norbert Leven

Über den Zustand der Gesundheitsversorgung in Filderstadt haben auf Einladung des VdK-Ortsverbands Filderstadt drei kompetente Gäste vor einem fachkundig geprägten Publikum engagiert und pointiert diskutiert: Oberbürgermeister Christoph Traub, der Präsident der Landesärztekammer Dr. Wolfgang Miller und Roland Sing, Ehrenvorsitzender des VdK Baden-Württemberg. Ines Schmidt, die Vorsitzende des VdK-Ortsverbands Filderstadt, erhielt als Moderatorin auf ihre Fragen präzise Antworten.

Der Patient ist gesundheitlich angeschlagen, aber er hat – aus Sicht der Podiumsteilnehmer – durchaus Überlebenschancen. Das lässt sich an den Schlussstatements festmachen, für die Ines Schmidt nach einer Prognose fragte: „Wo stehen wir in zehn Jahren?“ Oberbürgermeister Christoph Traub geht davon aus, dass die derzeitige Situation erhalten bleibe. „Von einer Verbesserung gehe ich nicht aus.“ Roland Sing gibt hingegen die „Hoffnung auf Verbesserung nicht auf. Das lässt sich die Bevölkerung nicht gefallen.“ Und Dr. Wolfgang Miller äußerte sich „zuversichtlich, dass es nicht schlechter wird. Aber es wird Veränderungen geben“, davon ist der Präsident der Landesärztekammer überzeugt.

Die aktuelle Situation

Die Situation vor Ort hatte Ines Schmidt zu Beginn anhand von Zahlen umrissen. In Filderstadt praktizieren aktuell 73 Ärzte (ohne Zahnärzte); 26 Allgemeinmediziner (Hausarzt), 45 Fachärzte und zwei Kinderärzte. Sie sind zuständig für rund 46.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Ein Allgemeinarzt ist rechnerisch also zuständig für 1700 Personen. Bei den Fachärzten gibt es zum Beispiel zehn Mediziner im Fachgebiet Gynäkologie, sechs Orthopäden, fünf Augenärzte und einen Urologen.

In der Großen Kreisstadt gibt es aber auch Lücken in der fachärztlichen Versorgung. Dermatologen und Kardiologen sucht man vergebens. Die nächstgelegenen Ärzte dieser Fachrichtungen sind in der Nachbarstadt Leinfelden-Echterdingen ansässig.

Die Versorgung in Filderstadt könnte also besser sein. Der Status quo führt unbestritten zur Überlastung von Ärzten und ihren Angestellten, Annahmestopps für neue Patienten, Nichterreichbarkeit der Praxen per Telefon, und lange Wartezeiten von mehreren Monaten auf einen Behandlungstermin.

Beschwerden landen auf dem Rathaus

Beschwerden darüber landen auch auf dem Rathaus. „Wir müssen uns mit der Situation auseinandersetzen“, sagt Oberbürgermeister Christoph Traub, obwohl die Stadt für die medizinische Versorgung rechtlich betrachtet nicht zuständig sei. „Wir erkennen Mängel und versuchen, entgegenzuwirken“. Beispielhaft zählte der Rathauschef Runde Tische mit der Ärzteschaft, das Referat für Chancengleichheit, Teilhabe und Gesundheit, finanzielle Unterstützung für neuen Ärzten und Beratung der Bevölkerung im Umgang mit der Digitalisierung auf.

Filderstadt habe noch „eine gute Versorgung“, befand Dr. Wolfgang Miller. Das gelte auch fürs ganze Land. 75.000 Mediziner gebe es in Baden-Württemberg, zwei Drittel davon seien berufstätig. „Mit denen, die wir haben, können wir eine gute Versorgung erhalten“, ist der Präsident der Ärztekammer überzeugt. Unter einer Bedingung: Der Zustrom zu den Praxen müsse gesteuert werden, etwa durch Anreizsysteme für die ambulante Versorgung. „Derzeit leiden wir unter ungesteuerter Inanspruchnahme.“ Andere Länder seien da schon weiter. „Streng reglementiert“ sei zum Beispiel in Dänemark der Zugang zur Krankenhausbehandlung. „Es müsste doch möglich sein ein Vermittlungssystem für die Überweisung an Fachärzte hinzubekommen. Davon träume ich.“

50 Euro Notfallgebühr?

Auch Roland Sing mochte „in Filderstadt kein akutes Versorgungsproblem ausmachen“. Für ihn als Bürger der Nachbarstadt Leinfelden-Echterdingen sei es „kein Problem“, etwa einen Arzt in Stuttgart-Möhringen oder Bernhausen aufzusuchen. Kritisch sei die Lage hingegen „auf dem Land“.  Für Entlastung der Notfallambulanzen in den Krankenhäusern könne er sich zum Beispiel eine Gebühr von 50 Euro vorstellen. „Und die wird erstattet, wenn es wirklich ein Notfall war.“ Von der steuernden Wirkung sei er überzeugt. Auch das Hausarzt-Modell sei geeignet, Patientenhopping einzudämmen. Nur frage er sich: „Warum macht die Hälfte der Ärzte dabei nicht mit?

Sing legte auch beim Thema Terminvergabe den Finger in die Wunde: „Wer sich nicht wehren kann, wird zum Opfer“, sagte er zur Bevorzugung von Privatversicherten. Er appellierte an die Mediziner: „Jeder Patient muss uns doch gleich viel wert sein.“

„Digitalisierung endlich ernst nehmen“

Die Digitalisierung in der Medizin sahen die Podiumsteilnehmer mit Abstrichen positiv. Sie könne die Arbeit erleichtern – unter der Voraussetzung, „dass wir Digitalisierung endlich ernst nehmen“, sagte OB Traub. Für Ältere werde man als Kommune vermutlich Geräte bereitstellen müssen. „Niemand darf ausgeschlossen werden.“ Roland Sing betonte seine positive Einstellung, warnte aber davor, dass „Millionen Menschen nicht erreicht werden“.  Dr. Wolfgang Miller führte als positives Beispiel eine Vorreiterrolle Baden-Württembergs in der Telemedizin an. Diese sei mit dem sogenannten E-Rezeptkurz fürelektronisches Rezept ein gelungenes Beispiel für die Digitalisierung.

Ines Schmidt bedankte sich bei den Podiumsteilnehmern für die pointierten Redebeiträge und überreichte ein Weinpräsent.